Die Schizophrenie der Fitness-Branche

Das Phänomen, dass immer mehr Promis, die mehr oder weniger im Rampenlicht stehen, den Fitnessmarkt für sich entdeckt haben, ist nicht neu. Genauso wenig die massive Kritik von ernsthaft arbeitenden Trainern und Coaches an den in Rekordzeit krass und sexy machenden Trainings- und Ernährungs-Programmen.

Hauptkritik: wie kommen diese Leute auf die Idee, ohne adäquate Qualifikation irgendwelche Fitness-Tips zu geben und ganze Erfolgs-Programme zu kreieren? Und der durchaus nachvollziehbare, aber deshalb nicht kleinere Irrtum, dass das Erfolgsrezept, mit dem Promi XYZ erfolgreich war, auch genauso bei jedem anderen Menschen funktioniert.

War diese Kritik bisher eher in den sozialen Medien und persönlichen Gesprächen unter Trainern zu finden, erreicht sie nun auch Magazine und Zeitschriften. Aktuell hat sich die MensFitness diesem Thema angenommen und lässt einen Profi der Branche zu Wort kommen. Zu den oben genannten Kritikpunkten kommt hier noch der absolut richtige Hinweis, sich vor Aufnahme des Trainings über die Konstitution, die Bewegungs- und Leistungsfähigkeit des Trainierenden im Klaren zu sein. Dazu gehören auch individuelle Krankheits- und Verletzungsbiographien, der Alltag des Klienten, kurz: eine umfassende Anamnese.

Der Chefredakteur des Blattes verweist noch auf Fitnessstudios mit gut ausgebildetem Personal als Anlaufstelle für Trainingswillige.

Soweit so gut.

Wäre da nicht die Problematik, dass Fitness-Magazine davon leben, Ausgabe für Ausgabe erfolgsversprechende Fitnessprogramme mit unzähligen Übungen herauszubringen. Da gibt’s den todsicheren Fettverlust, den massiven Muskelaufbau, den Waschbrett-Bauch, die dicken Arme, die schlanken Beine, den Bikini-Body für die Mädels, den Strand-Körper für die Männer, und ganz wichtig: alles in Rekordzeit!

Noch besser: in demselben Artikel, in dem die Programme der Promis kritisiert werden, findet man ein Basic Workout vom Fitness-Profi. Und das beginnt gleich mal mit einem Back-Squat, einer tiefen Kniebeuge mit einer Langhantel im Nacken. Einer Übung, bei der so viele Dinge im Körper bzgl. Mobilität und Stabilität funktionieren müssen, dass sie im TRAININGSDECK erst nach einer Vielzahl von vorbereitenden Übungen kommt. Wenn überhaupt.

Meine Frage: was ist der Unterschied zwischen einer vom Fitness-Profi vorgemachten Kniebeuge und der vom C-Promi empfohlenen, wenn beide den Trainierenden gar nicht kennen? Nicht wissen, ob der vielleicht Einschränkungen in der Hüftbeweglichkeit hat, unter unspezifischen Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule leidet oder bei jedem in die Hocke gehen seine Knie kollabieren?

Wenn beim Kreuzheben, einer extrem wichtigen Hip-Hinge-Bewegung, das natürliche Hohlkreuz nicht gehalten werden kann? Die Gründe hierfür können vielfältig sein, der Unterschied, ob der Übungshinweis vom Fitness-Profi oder Medien-Star kommt, ist es auf jeden Fall nicht. Fitness-Tipps sind eine Inspiration, sie können Leute in Bewegung bringen und ihnen Ideen für eine gewisse Vielfalt bzgl. Übungsauswahl und Belastungen liefern.

Für den Anspruch, individuell zu trainieren, gibt es vom Fitnessstudio bis zum Personal Trainer unterschiedliche Möglichkeiten in vielen Abstufungen hinsichtlich Qualität und Kosten.

Trainingsprogramme in vorgefertigter Form gehören nicht dazu.